Beschuss verzögert UN-Inspektion von ukrainischem Atomkraftwerk Saporischschja – EURACTIV.de

2022-09-04 01:23:42 By : Mr. LANBO FITNESS

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EURACTIV.com with Reuters | übersetzt von Helena Borst

Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Mariano Grossi (C), verlässt mit anderen IAEO-Mitgliedern ein Hotel in Kyjiw, um das Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine zu besuchen, 31. August 2022. [EPA-EFE/ROMAN PILIPEY]

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Aufgrund von Beschuss in der Nähe des ukrainischen Kernkraftwerkskomplexes Saporischschja musste ein geplanter Besuch von UN-Expert:innen am Donnerstag (1. September) um mehrere Stunden verschoben werden.

Der Leiter des Teams erklärte jedoch, man sei weiterhin entschlossen, die Sicherheitsinspektion durchzuführen.

Russland und die Ukraine beschuldigten sich gegenseitig, die Mission der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in der Anlage im Süden der Zentralukraine sabotieren zu wollen.

Die Anlage befindet sich unter der Kontrolle russischer Streitkräfte, wird aber weiter von ukrainischem Personal betrieben.

Das staatliche ukrainische Atomunternehmen Energoatom erklärte, der IAEO-Konvoi befinde sich an einem ukrainischen Kontrollpunkt etwa 20 Kilometer von der Frontlinie entfernt und warte darauf, dass die Lage in der Nähe des Kraftwerks sich entspanne.

Zuvor hatte Energoatom erklärt, der russische Beschuss habe die Abschaltung eines der beiden in Betrieb befindlichen Reaktoren in der Anlage erzwungen.

Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters berichtete aus der nahegelegenen, von Russland kontrollierten Stadt Enerhodar, ein Wohnhaus sei beschossen worden und die Menschen hätten in einem Keller in Deckung gehen müssen.

Es sei nicht möglich gewesen, festzustellen, wer geschossen hatte. Laut dem Reporter liefen Soldat:innen umher und Hubschrauber flogen über der Stadt.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte, Moskau tue alles, um einen sicheren Betrieb der Anlage zu gewährleisten und den IAEA-Inspektor:innen die Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen.

Die Lage im größten europäischen Atomkraftwerk ist seit Wochen unübersichtlich. Moskau und Kyjiw schieben sich regelmäßig gegenseitig die Schuld für Schusswechsel in der Umgebung zu, während die Angst vor einer radioaktiven Katastrophe ähnlich wie der Tschernobyl wächst.

Der Leiter der IAEO, Rafael Grossi, sagte am frühen Donnerstag in der 55 Kilometer von der Anlage entfernten Stadt Saporischschja gegenüber Reporter:innen, er sei sich der „verstärkten militärischen Aktivitäten in der Gegend“ bewusst, werde aber an dem Plan festhalten, die Anlage zu besichtigen und die Mitarbeiter:innen zu treffen.

„Nachdem wir so weit gekommen sind, werden wir nicht aufgeben“, sagte Grossi, der die Mission leitet.

Die IAEO-Inspektor:innen, die Schutzwesten trugen und in weißen, gepanzerten Geländewagen mit UN-Kennzeichnungen unterwegs waren, fuhren in Polizeibegleitung aus der Stadt, wurden aber bereits am ersten Kontrollpunkt außerhalb der Stadt aufgehalten.

Oleksandr Starukh, der Leiter der Region Saporischschja, erklärte, russische Truppen hätten die Route beschossen, über die die IAEO-Mission zum Kraftwerk gelangen wollte.

Russland warf den ukrainischen Streitkräften vor, sie hätten versucht, das Kraftwerk in ihre Gewalt zu bringen und sowohl den geplanten Aufenthaltsort der IAEO-Delegation als auch das Kernkraftwerk selbst beschossen.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte, bis zu 60 ukrainische Soldat:innen hätten um 6:00 Uhr Ortszeit in Booten den Fluss Dnipro überquert, der das Gebiet beider Seiten trennt. Dies sei eine „Provokation“ gewesen, um den Besuch der IAEO zu stören.

Das Ministerium erklärte, es seien „Maßnahmen ergriffen“ worden, um die gegnerischen Truppen zu zerstören, einschließlich des Einsatzes von Militärflugzeugen.

Unabhängig davon behaupteter ein von Russland eingesetzter Beamter, Wladimir Rogow, gegenüber dem staatlichen Rundfunksender RT, die ukrainischen Streitkräfte hätten den Angriff aus „Verzweiflung“ über den Besuch der IAEO gestartet. Später sagte er, dass „etwa 40“ der 60 ukrainischen Soldat:innen getötet worden seien.

Ukrainische Beamt:innen haben den IAEO-Besuch begrüßt und die Hoffnung geäußert, dass er zur Entmilitarisierung der Anlage führe. Sie erklärten, Russland habe die Anlage als Schutzschild benutzt, um Städte zu beschießen, wohl wissend, dass die ukrainischen Streitkräfte aus Angst vor einer Atomkatastrophe kaum zurückschießen könnten.

Außerdem beschuldigen sie die russischen Streitkräfte, die Anlage beschossen zu haben, was von russischer Seite bestritten wird.

Die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS meldete unter Berufung auf russische Behörden, dass Wohngebiete in der Stadt Enerhodar, in der sich die Anlage in Saporischschja befindet, über Nacht von ukrainischen Truppen „massiv“ beschossen worden seien.

Reuters-Journalist:innen, die dem IAEO-Konvoi folgten, bevor sie wegen der gefährlichen Lage zur Umkehr aufgefordert wurden, berichteten, dass sie in der Nacht in der Stadt Saporischschja Explosionsblitze am Himmel gesehen hätten.

Sie konnten jedoch nicht feststellen, wer dafür verantwortlich war.

Russland wirft der Ukraine vor, die Anlage ins Visier genommen zu haben, um internationale Aufmerksamkeit zu erregen, in der Hoffnung, dass dies zu einer entmilitarisierten Zone führen würde.

Grossi sagte, ein solcher Status sei eine politische Angelegenheit, über die die Konfliktländer entscheiden müssten. Er erklärte am Mittwoch, die IAEO-Mission habe lediglich zum Ziel, „einen nuklearen Unfall zu verhindern.“

Die von Russland eingesetzten Beamt:innen deuteten allerdings an, dass dem Team der UN-Atomaufsichtsbehörde nur ein Tag Zeit für die Inspektion der Anlage gewährt werden würde, obgleich die Mission auf einen längeren Zeitraum ausgelegt ist.

„Wenn wir in der Lage sind, eine ständige oder kontinuierliche Präsenz zu etablieren, dann wird sie verlängert werden. Aber dieser erste Einsatz wird nur ein paar Tage dauern“, sagte Grossi.

Derweil meldeten beide Seiten haben inmitten eines neuen ukrainischen Vorstoßes zur Rückeroberung von Gebieten im Süden des Landes Erfolge auf dem Schlachtfeld.

„Es ist ein sehr langsamer Prozess, weil uns die Menschen am Herzen liegen“, sagte Oleksiy Arestovych, ein Berater von Präsident Volodymyr Zelenskyj, mit Blick auf die ukrainische Offensive.

Moskau dementierte Berichte über Fortschritte der Ukraine und erklärte, seine Truppen hätten die ukrainischen Streitkräfte zurückgedrängt.

Russland hatte in den ersten Wochen des seit über sechs Monaten andauernden Krieges große Teile der Südukraine nahe der Schwarzmeerküste erobert, darunter auch die Region Cherson nördlich der von Russland annektierten Halbinsel Krim.

Andernorts schlug die Ukraine offenbar russische Angriffe in Richtung Bakhmut und Avdiivka, Städte nördlich der von Russland besetzten Stadt Donetsk, zurück, wie der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte mitteilte.

Die prorussischen Truppen hätten sich auf Bakhmut konzentriert, um die Kontrolle über die Region Donbas, das industrielle Kernland der Ukraine im Osten des Landes, auszudehnen, so der Generalstab am Mittwoch weiter.

Die von Russland unterstützten Separatisten erklärten am Donnerstag, dass in dem von Russland kontrollierten Teil der Region Donezk in der Ostukraine 13 Rettungsdienstmitarbeiter:innen getötet und neun verwundet worden seien, nachdem sie unter ukrainischen Artilleriebeschuss geraten waren.

Reuters war nicht in der Lage, diese Meldung unabhängig zu verifizieren.

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