Knochensäge, Rippenschere, Corona-Modell: Diese 8 Objekte erzählen, wie Medizin an der Uniklinik in Würzburg war

2022-07-31 01:22:02 By : Ms. Evelyn Li

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Allein 800 chirurgische Instrumente, dazu Instrumente, die im 18. und 19. Jahrhundert in der Geburtshilfe an der Unifrauenklinik Würzburg im Einsatz waren. Wachsmoulagen, die ein getreues Abbild von krankhaft veränderten Körperpartien und Hautregionen zeigten. Dann eine riesige Lehrsammlung mit Glasplattendias zu Anatomie, Histologie, Gynäkologie . . . Es sind stattliche Bestände, die das Würzburger Institut für Geschichte der Medizin beherbergt. Vieles gut erforscht, wissenschaftlich untersucht und aufwendig restauriert. Vieles auf die Schnelle irgendwo vor der Entsorgung gerettet und mit den Spuren der Zeit verwahrt in Schubladen und Kisten.

Seit genau 100 Jahren gibt es das Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg jetzt. Es ist eines der ältesten in Deutschland und beherbergt eine umfangreiche Sammlung an medizinischen Objekten und Instrumenten. Knochensägen, Skarifikationsschnepper zum blutigen Schröpfen, Harnröhren-Dehner – als medizinischer Laie steht man rat- und ahnungslos vor vielen dieser Stücke und mag sich gar nicht vorstellen, wie und für was sie eingesetzt wurden die Jahrhunderte über.

Das älteste Stück: ein Kugelzieher aus dem 16. Jahrhundert. Die jüngsten Objekte stammen – ganz aktuell! – aus der Corona-Zeit. Privatdozentin Dr. Sabine Schlegelmilch, die Kustodin und Sammlungsbeauftragte der Medizinische Fakultät, stellt hier acht besondere Beispiele vor. 

Es ist das älteste Stück in der Sammlung! Und eines der wertvollsten. Was es ist? Identifizierbar, sagt Dr. Sabine Schlegelmilch, ist das Instrument an den knaufförmig auslaufenden Griffen: "Ein Kugelauszieher, also ein Stück aus der Militärmedizin." Man schoss mit Blei, die Büchsen waren nicht gerade zielsicher und "die Geschosse hatten eine relativ hohe Geschwindigkeit, wenn sie eingeschlagen haben". Weil Blei ein eher weiches Material ist, blieben die Kugeln im Körper stecken und hefteten sich als Batzen halb an den, halb in den Knochen. "Dann musste man einen Schnitt machen, mit dem Spreizer spreizen und dann hat man den Kugelauszieher eingeführt." Das Gewinde oben wurde ins Blei geschraubt – und der Batzen herausgezogen.

Die Jahreszahl 1570 können die Medizinhistoriker ziemlich genau angeben. Denn beim Entrosten und Restaurieren kam das Stadtwappen von Wertheim, das nur bis zu jenem Jahr benutzt wurde, wieder zum Vorschein. Was man wissen muss: Während der gesamten frühen Neuzeit waren in Deutschland Chirurgie und Medizin stets getrennt. Auf der einen Seite die Barbiere, die handwerklichen Praktiker – auf der anderen Seite die akademischen Mediziner. Im 18. Jahrhunderte akademisierte sich dann auch die Chirurgie. Und als in Würzburg Carl Caspar von Siebold die Lehrsammlung anlegte, "sammelte man rückwärts". Chirurgische Dinge, die nicht mehr gebraucht wurden, trug man offenbar aus dem Umland zusammen. Der Kugelauszieher aus Stahl mit dem Messing-Wappen aus der Zeit der Gründung des Würzburger Juliusspitals muss wohl einst dem Stadtchirurgen von Wertheim gehört haben.

Carl Caspar Siebold ist ausgebildeter Wundarzt. Im 18. Jahrhundert beginnen die Chirurgen, die gerade an die Universität kommen, sich als Geburtshelfer zu profilieren und die Hebammen zu verdrängen. Zumindest immer dann, wenn bei schweren Geburten Instrumente im Einsatz sind. Siebolds Schwiegertochter ist Geburtshelferin – "und er schenkt ihr diese Zange, das wissen wir". Dazu soll der Begründer der modernen akademischen Chirurgie gesagt haben, "in ihren Händen wird dieses Instrument sehr nützlich sein". Siebold habe "kein Problem damit gehabt, dass die Frau als Geburtshelferin tätig ist". Die Zange hatte Siebold selbst entwickelt und konstruiert.

Wenig später seien die Hebammen an den Universitäten dann lächerlich gemacht und angefeindet worden, sagt Sabine Schlegelmilch. Man verbot ihnen, Instrumente anzufassen. Erst ab dem kommenden Wintersemester werden an der Uni Würzburg wieder Hebammenwissenschaften unterrichtet – "und ich werde immer diese Zange mitnehmen und diese Geschichte erzählen". Diese Siebold-Zange hier übrigens wurde vom Würzburger Star-Instrumentenmacher Johann Georg Heine gefertigt. Das Würzburger medizingeschichtliche Institut hat rund 50 Geburtszangen in der Sammlung – "aber keine zwei gleichen, weil jeder Geburtshelfer eine eigene entwickelt hat".

Ein kostbares Stück, denn davon gibt es nur zwei auf der Welt: die Scheibensäge für Knochen, entwickelt im 19. Jahrhundert vom Würzburger Bernhard Heine und gefertigt in der Instrumenten-Werkstatt Herrmann. Der Instrumentenmacher Heine entwarf eine ganze Reihe von Prototypen, bis hin zum Osteotom, dem Knochenschneider. Schon Heines Vater hatte in Würzburg als Orthopäde Korsette und Gehhilfen gebaut. Der gelernte Handwerker Bernhard Heine sei zunächst angefeindet worden von den Professoren der Universität, sagt Sabine Schlegelmilch, erhielt dann aber doch einen Lehrstuhl. "Weil er der einzige war, der diese Instrumente vorführen und anwenden konnte." Heine war es darum gegangen, Knochen nicht mehr ruckartig zu sägen. „Er wollte ein Instrument mit gleitenden, gleichmäßigen Bewegungen entwickeln, das weniger zerstörte."

So experimentierte der Knochenspezialist mit Scheiben- und Kettensägen. So dünne Scheiben wie hier, sagte der Restaurator, könne man heute maschinell gar nicht mehr fertigen. Warum es überhaupt nur drei solche Sägen gab – und heute nur noch diese hier und eine in Paris erhalten sind? "Der Prototyp ist zwar unglaublich wertvoll gemacht", sagt Schlegelmilch. "Aber der Witz ist: Er funktioniert nicht." Spätestens bei der dritten Umdrehung überlagern sich die Scheiben. „Sie sind so dünn, dass sie übereinander springen.“ Sehr wertvoll – aber nicht funktionstüchtig und nie im Einsatz. Heines serienreifer Exportschlager wurde dann das Osteotom mit seiner patentierten Kette.

Ein rätselhaftes Objekt – was mag das sein? In Würzburg wurde 1850 die erste Kinderklinik der Welt gegründet. Und sofort kam dieses Metallstück, speziell für die kleinsten Patienten, zum Einsatz. Denn eine der größten Bedrohungen für Kinder damals: Diphterie. "Die Krankheit heißt auch der Würgeengel", sagt Sabine Schlegelmilch. Die Kinder bekamen so starke Krämpfe am Hals, dass sie erstickten. So wurden Trachealkanülen entwickelt, die man den kleinen Patienten durch den Mund in die Luftröhre einsetzte. "Für die vier, fünf Tage, an denen die Krämpfe am heftigsten waren." Die Kinder konnten in dieser Zeit nicht sprechen, sagt die Medizinhistorikerin. "Aber sie sind auch nicht erstickt und konnten wohl etwas Milch schlucken. Das hat vielen tatsächlich das Leben gerettet." Die Messingkanülen gibt es in unterschiedlichen Größen für die verschiedenen Altersgruppen. "Gut, dass man inzwischen gegen Diphterie impfen kann."

Ein ganz junges Stück in der medizinhistorischen Sammlung, im vergangenen September erst kam es an das Institut. "Diese Hand kennt eigentlich jeder", sagt Sabine Schlegelmilch. "Röntgen!" Es ist der Original-Abzug der Aufnahme, die Wilhelm Conrad Röntgen 1896 zur Demonstration der von ihm entdeckten Strahlen in einem öffentlichen Vortrag von der Hand des Anatomieprofessors Albert von Koelliker fertigte. Die Urenkelin von Koelliker überließ jetzt dieses Original mit Widmung Röntgens der Universität. "Da müssen wir bald jemanden finden, der das Papier restauriert."

Ein Stück aus dunkler Vergangenheit. Eine Aufgabe der Würzburger Medizinhistoriker ist es, die Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Carl Josef Gauß, Leiter der Frauenklinik während der 1930er Jahre, war begeistert von Strahlentherapie. Und wollte sie im Sinne der NS-Ideologie auch zur Sterilisation von „unwerten“ Frauen einsetzen. Von ihm ist dieses Unikat erhalten, handgeschrieben. Der Gynäkologe muss einen Kalligrafen angestellt haben, der diese Schrift zusammenstellte: "Vorne im Inhaltsverzeichnis hat der Kalligraf Fehler gemacht, Gauß hat sie mit Kuli korrigiert." Und in dem Band? "Da sind Zystogramme drin, Durchleuchtungsfotografie", sagt Sabine Schlegelmilch. "Hier haben wir quasi die NS-Zeit in einem Objekt." Denn das Ergebnis der Nazi-Ideologie sieht man am verbrannten Einband: den Bombenkrieg, der am 16. März 1945 auch Würzburg traf.

Ein Stück aus den 1960er- und 1970er-Jahren: eine Rippenschere nach Sauerbruch. Sie stammt aus der Pflegeschule des Uniklinikums, sagt Dr. Sabine Schlegelmilch. "Wir versuchen auch, die Komplementärberufe zu zeigen." Wichtig für die heutige Lehre, um die Geschichte eines Fachs erklären zu können. Die Kustodin der Sammlungen sagt: "Ich bin sehr überzeugt, dass nach den Hebammen auch die Pflegewissenschaften an die Universität kommen werden."

Diese Rippenschere gehörte "zum Instrumentenkasten, mit dem die Pflegeschülerinnen noch in den 60er, 70er Jahren ihren Job gelernt haben". Damals trennte man noch nicht zwischen Krankenschwester oder OP-Schwester – "man lernte alles“. Mit der scharfen Schere knackte man von der Seite Rippen, um ein Stück Lunge entfernen zu können. Chirurg und Militärarzt Ferdinand Sauerbruch hatte das Instrument in den 1940er Jahren zur Behandlung von Tuberkulose entwickelt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es dann zwar Antibiotika – "aber noch viele ältere Patienten, die früher Tuberkulose gehabt hatten und denen die Löcher in der Lunge als Therapie mit Flüssigkeit gefüllt worden waren". Das Paraffin musste entfernt werden. Und die Krankenschwester musste wissen, was sie dem Operateur beim Stichwort "Rippenschere" zu reichen hatte.

Das SARS-CoV-2 Virus in der medizinhistorischen Sammlung? Im Büro von Privatdozentin Dr. Sabine Schlegelmilch am Institut steht tatsächlich das erste biologisch korrekte 3D-Modell des Virus: SARS-CoV-2 und ein Antikörper zum Anfassen, 17 Zentimeter groß, 1.000.000-fach vergrößert. Viren sind winzig.

Die Corona Structural Task Force um Dr. Andrea Thorn vom Rudolf-Virchow-Zentrum der Uni Würzburg entwickelte dieses Modell, das man mit 3D-Drucker drucken und in die Hand nehmen kann. Die Forscherinnen und Forscher entschlüsselten damit den molekularen Aufbau des neuen Coronavirus und analysierten die Anordnung der Atome in seinen Molekülen. Ergebnis der Erkenntnisse: dieses Modell. Das Besondere: die Größenverhältnisse und Strukturen sind realitätsgetreu abgebildet. Die Virushülle trägt neben den Stacheln zwei weitere Arten von Eiweißmolekülen. Und man sieht: Das Coronavirus ist nicht, wie oft dargestellt, exakt rund oder symmetrisch, sondern kann in Form und Größe variieren.

Die Dateien und eine Anleitung für den 3D-Druck des Virus hat die internationale Task Force übrigens online zur Verfügung gestellt: www.insidecorona.net/de/wie-sieht-das-coronavirus-aus

Veranstaltungstipp: Das Institut für Geschichte der Medizin der Uni Würzburg feiert sein 100-jähriges Bestehen an diesem Donnerstag, 21. Juli, im Toscanasaal der Residenz. Beginn der öffentlichen Veranstaltung ist um 19 Uhr. Es gibt kurze Vorträge zu Geschichte und Forschung, Lehre und Sammlungen. Und eine kleine Ausstellung mit historischen Exponaten. Dabei besteht die Möglichkeit, für den neuen Förderverein zur Rettung des Objekterbes der Würzburger Medizin zu spenden. Alle Interessierten sind willkommen. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

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