Notfalls ein Leben lang - WESER-KURIER

2022-07-23 10:00:53 By : Mr. Andy Zong

Der Blick hinaus auf den Hof, er ist von hohen Mauern umgeben.

Ein Knast, ein Krankenhaus, beides vielleicht? Die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie gibt es in Bremen seit über 100 Jahren. Früher war es das „Verwahrhaus für Geisteskranke“. Heute sind dort Straftäter untergebracht, Mörder und Totschläger darunter, die drogenkrank sind oder unter Persönlichkeitsstörungen leiden. Zu Besuch an einem Ort, wo Wahn und Wirklichkeit nahe beieinander liegen.

Seine Zelle ist wie eine Höhle. Poster, Teppiche, Decken, Bilder, Nippes jeder Art, und alles an seinem Platz, dort, wo es hingehört, ordentlich und sauber. Ein Schutzraum, sein Zuhause, das er abschließen kann. Zugang haben dann nur noch die Pfleger mit ihrem Generalschlüssel. „Eintrittspreis 1 Euro“ steht auf einem Schild, das am Türrahmen baumelt. Und der Mann hat recht – das ist schon etwas Besonderes, was er sich auf den sechs Quadratmetern geschaffen hat. Die Höhle, aus der heraus er kämpfen kann. Gegen das Unrecht, die Willkür, das ganze System.

Dirk Venske* trägt eine stille Wut in sich, alles falsch, sagt er: Die Anschuldigungen, der Prozess, die Gutachten, das Urteil, und dass er nun schon seit acht Jahren in der Forensik sitzt. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bremen-Ost nimmt Straftäter auf, bei denen die Ärzte eine schwere Persönlichkeitsstörung oder starkes Suchtverhalten festgestellt haben. Venske ist verurteilt worden, weil er Kinder missbraucht hat.

Hastig erzählt er von ein paar Szenen aus seiner Gerichtsverhandlung, Bruchstücke, die man ohne die Zusammenhänge nicht verstehen kann. Ihm scheint das egal zu sein oder er merkt es nicht. Ein Redeschwall, der schwer zu unterbrechen ist. Seine Geschichte, so wie er sie sieht. Seine Wahrheit.

Sich behandeln zu lassen, lehnt er ab. Keine Chance für die Ärzte mit ihren Medikamenten und Therapien. „Es gibt nichts zu behandeln“, sagt Venske. Dann schaut er zum Chefarzt hinüber, der mit im Raum sitzt. „Mein Herbergsvater.“ Spott in der Stimme, aber will er das? Die Augen verraten Unsicherheit. Ein Missverständnis. Alles eigentlich. Ein einziges Missverständnis.

Der Chefarzt ist Friedrich Schwerdtfeger, 60 Jahre alt. Er hat Fälle wie diesen, wenn ein Mensch krank ist, das aber nicht wahrhaben will und ein so starkes Binnensystem entwickelt hat, dass man nicht an ihn herankommt. „Ein Narziss“, sagt Schwerdtfeger. Venske wird so lange nicht aus der Klinik entlassen, so lange er alles verweigert, was ihm helfen könnte. Ein paar Gänge nach draußen, unter Bewachung, das schon. Aber nicht die Freiheit, die er sich wünscht.

„Wir hatten Patienten, die bis zu ihrem Tod bei uns waren“, sagt Schwerdtfeger. Männer wie Venske, die raus wollen, aber nicht dürfen, weil von ihnen eine Gefahr ausgehen könnte. Umgekehrt aber auch Männer, die raus dürften, es aber nicht wollen. „Die haben sich an die Klinik gewöhnt und trauen sich das Leben draußen nicht mehr zu.“ Rauswerfen kann der Chefarzt niemanden. Die Patienten bleiben und werden in ihren Zellen alt.

Wer bereits lange Jahre da ist und kaum Perspektive hat, die Forensik eines Tages zu verlassen, wird auf der 18A untergebracht, der „Long-Lay-Station“, wie es in der Klinik-Sprache heißt. 16 Männer, die sich einen Gebäudetrakt teilen, der auf dem Gelände mit einem Zaun abgetrennt ist. Schwerdtfeger zeigt den Garten, wo in einem Stall die Kaninchen mümmeln. Im Teich schwimmen Fische, und es gab auch mal Hühner. Die alten Bäume im Garten spenden Schatten, ein kleines Idyll, „hat aber auch schon mal gepflegter ausgesehen“, sagt der Chefarzt.

Es sind Mörder unter seinen Patienten, Totschläger, Vergewaltiger und Räuber, fast alle mit demselben Geschlecht – „Gewalt ist männlich“, sagt Schwerdtfeger. Unter den 134 Patienten in seiner Klinik sind gerade einmal fünf Frauen.

Die Forensik ist juristisch betrachtet der Maßregelvollzug. Er ist für Straftäter bestimmt, die nur bedingt oder überhaupt nicht schuldfähig sind. Schwerdtfeger erklärt das Grundprinzip: „Wir wollen nicht bestrafen, sondern behandeln und sichern.“

Behandeln und sichern – das ist der schmale Grat in der Forensik. Eine Therapie ohne die Aussicht, irgendwann die Klinik verlassen zu dürfen, und sei es zunächst unter Bewachung, ist ein Widerspruch in sich. Gleichzeitig hat die Gesellschaft einen Anspruch darauf, vor Menschen geschützt zu werden, die gefährlich werden können. Die Klinik ist deshalb ein Gefängnis: Mauern drum herum, an der Pforte eine Schleuse mit Metalldetektoren, überall Türen, die auf- und wieder zugeschlossen werden, Sicherheitsglas, Scheinwerfer, das ganze Programm.

Ausbrüche gab es trotzdem. Im vergangenen Jahr waren es sechs Patienten, die sich hinausmogeln konnten. Hinzu kamen elf Fälle, in denen die Fahndung ausgelöst wurde, weil Auflagen im offenen Vollzug oder in einer der Übergangseinrichtungen gebrochen wurden. Wer aus der Forensik entlassen wird, steht manchmal noch Jahre unter Aufsicht und muss sich an gewisse Regeln halten.

Passiert ist nichts oder fast nichts, als die Patienten für kurze Zeit in Freiheit waren. Einer ist beim Ladendiebstahl erwischt worden – nicht gerade das, was im Allgemeinen befürchtet wird, wenn von entflohenen Straftätern gesprochen wird, die wegen Drogen oder psychischer Probleme möglicherweise nicht immer Herr ihrer Sinne oder Taten sind.

Manuel und Ridwan, beide 25 Jahre alt, sitzen mehrjährige Haftstrafen ab. Sie sind wegen Raub verurteilt worden, Beschaffungskriminalität, die Männer sind drogenkrank. Der Grund, weswegen sie seit zehn Monaten in der Forensik eine Therapie machen. „Besser als der Knast in Oslebshausen“, sagen die beiden. Sie arbeiten in der Tischlerei und helfen den Gärtnern.

„Unsere letzte Chance“, sagt Manuel, der Schweißer gelernt hat und früher im Schiffsbau beschäftigt war, „ich will keinen Ärger mehr und mir ein stabiles Umfeld aufbauen.“ Die Klinik sieht er als Erziehungsanstalt: „Hier kann man auch mal seine Gefühle zeigen“. Bald ist Sommerfest, dann werden sie auf dem Gelände ein bisschen feiern. Ridwan tritt als Rapper auf, erzählt er. „Hab’ ich draußen früher auch gemacht, jetzt komme ich aber mehr über die soziale Schiene.“

Zwei junge Männer, die friedlich im Garten sitzen und mit dem Chefarzt frotzeln. Die Sonne scheint, alles gut. Und doch haben die beiden Patienten bis heute keinen Ausgang bekommen, noch nicht einmal einen begleiteten. Bei Drogen ist man schnell wieder dabei, und wie sich das Zeug besorgen, ohne kriminell zu werden?

Manuel und Ridwan sind sogenannte 64-er. Ein Paragraf, der in der Forensik hauptsächlich auf Drogenabhängige zielt. Sie müssen irgendwann wieder entlassen werden, geheilt oder nicht. Anders bei den 63-ern, zu denen Dirk Venske gehört – sie bleiben notfalls ein Leben lang.

„Von diesen Fällen bekommen wir immer mehr“, berichtet Schwerdtfeger. Der Grund: Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor drei Jahren dürfen den Patienten nicht länger unter Zwang Medikamente verabreicht werden. Wer nicht will, bleibt unbehandelt. „Ich finde das absurd“, sagt der Chefarzt, „wenn die Patienten psychotische Schübe bekommen, dürfen wir sie fixieren, manchmal 24 Stunden lang. Wir dürfen ihnen aber keine Medikamente geben, wenn sie das ablehnen.“ Schwerdtfeger nennt das „menschenverachtend“.

Als Konsequenz daraus, dass die Patienten eine Behandlung verweigern können, muss der besonders gesicherte Bereich in der Forensik ausgebaut werden. Die Pläne dafür gibt es bereits.

Doch sind es immer die Patienten, die mit ihrer Einschätzung falsch liegen? Oder sind es auch mal die Ärzte?

Der Fall Mollath – er ist das jüngste und vielleicht beste Beispiel. Da ist einer störrisch und penetrant, aber ist er deswegen auch krank und gemeingefährlich? Schwierig.

„Wir sind eine totale Institution“, sagt Schwerdtfeger, „es gibt kaum einen anderen Bereich, wo so viel Macht ausgeübt wird.“ Die Ärzte bestimmen, wer krank ist und wer gesund. „Wir müssen das ständig kritisch reflektieren.“ Nicht nur untereinander, sondern auch mit Kollegen von außen. Supervision – ohne das geht es nicht, meint der Chefarzt.

Zurück an der Pforte. Die Besucher bekommen ihre Handys und Ausweise wieder. Schwerdtfeger schickt später noch eine Mail hinterher. Einladung zum 1. forensischen Familienfest. Die Patienten können auf dem Gelände der Klinik ihre Verwandten und Freunde treffen. Das wird es sein, wo Ridwan als Rapper auftritt. Kaffee und Kuchen gibt es auch.

* Name von der Redaktion geändert

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