Flughafenstreiks: Menschen werden bei Sicherheitskontrollen immer überflüssiger - WELT

2021-11-29 08:59:18 By : Ms. dongdg zheng

Hunderte gestrichene Flüge, wütende Passagiere, zusätzliche Kosten und eine empörte Koalition aus Arbeitgebern, Flughäfen und Fluggesellschaften. Von dem von der Gewerkschaft Ver.di ausgerufenen bundesweiten Warnstreik der Flugsicherheitsassistenten waren am Dienstag schätzungsweise 200.000 Passagiere betroffen.

Doch während die Streikenden einen Stundenlohn von 20 Euro fordern, überlegen die Unternehmen bereits, wie dieses Chaos in Zukunft verhindert werden kann, damit der Flugverkehr in Deutschland nicht von einer relativ kleinen Gruppe lahmgelegt werden kann. „Die Warnstreiks ermutigen zu Überlegungen für eine weitere Automatisierung“, sagt eine Sprecherin des Bundesverbandes der Luftsicherheitsunternehmen BDLS. Von der 20-Euro-Stundenlohnpflicht sind rund 15.000 Beschäftigte in der Branche betroffen.

Besonders im Blick haben die Experten China oder Dubai, wo an neu gebauten Flughäfen Hightech-Sicherheitstunnel zur Passagierkontrolle eingeführt werden. Zu Beginn des Tunnels wird ein Fingerabdruck genommen und der ID-Chip ausgelesen. Die Passagiere werden dann weder gescannt noch müssen sie vor einem Körperscanner stehen. Reisende dürfen auch ihre Schuhe anbehalten, Handgepäck muss nicht auf ein Förderband gelegt werden und Jacke und Portemonnaie müssen nicht in eine Plastikwanne gesteckt werden.

Stattdessen fahren sie mit ihrem Handgepäck durch einen längeren Tunnel und werden von Sensoren, die Sprengstoff erkennen, Metalldetektoren und Gesichtsscannern unter die Lupe genommen. Auch beim Gehen wird das Gepäck durchleuchtet und die Bilder mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet.

Eine Überprüfung findet dann nur noch bei verdächtigen Personen statt – mit Sicherheitspersonal. Es ist daher fraglich, ob es jemals eine vollautomatische Steuerung geben wird. Trotzdem kann man immer mehr auf Menschen verzichten.

In der Luftfahrtindustrie wird seit Jahren über neue, effiziente und zeitsparende Sicherheitskontrollsysteme diskutiert. Der internationale Luftfahrtverband IATA sagte 2010, dass das herkömmliche 40 Jahre alte Überwachungsverfahren modernisiert werden müsse.

Doch gerade in Deutschland führen die Zuständigkeiten des Bundes und die Mischung aus Politik, Flughäfen, Fluggesellschaften, Unternehmen, Gewerkschaften und Industrieinteressen zu einer eher schleppenden Entwicklung. Allein die Strukturen sind hochkomplex. Die Kontrolle von Passagieren und Gepäck ist eine hoheitliche Aufgabe. Die Bundespolizei hat damit private Sicherheitsdienstleister wie Securitas oder Kötter beauftragt. Ausnahme ist Bayern mit einem eigenen Staatssicherheitsdienst.

Die Kosten für die Kontrollen werden über die Luftsicherheitsgebühren an die Fluggesellschaften weitergegeben. Im Durchschnitt mehr als sieben Euro pro Passagier. In diesem Jahr werden den Fluggesellschaften in Deutschland geschätzte 780 Millionen für Passagier- und Gepäckkontrollen in Rechnung gestellt. Ein starker Anstieg von 84 Prozent seit 2011.

Die Fluggesellschaften haben sich immer über diese Kosten beschwert. Ein Argument besagt, dass dies eigentlich eine staatliche Aufgabe ist. Es wird auf andere EU-Länder mit Kostendeckelung oder die USA verwiesen, wo der Staat zwei Drittel zahlt. Tatsächlich geben die Airlines diese Kosten aber als gesonderten Posten auf die Ticketpreise weiter. Letztendlich ist es der Passagier, der es bezahlt.

Es ist daher ein offenes Geheimnis in der Branche, dass eine Erhöhung der Luftsicherheitsgebühren nicht von den Fluggesellschaften getragen wird. Vielmehr könnten die Ticketpreise steigen.

Die Airlines und Flughäfen sitzen bei den bislang erfolglosen Tarifverhandlungen zwischen Bundesverband der Luftsicherung (BDLS), Ver.di und der Gewerkschaft DBB nicht am Verhandlungstisch - obwohl sie neben den Passagieren Opfer der aktuellen Streiks sind. Es fallen zusätzliche Kosten für Umbuchungen an und es fallen weniger Umsätze am Flughafen an.

Bei Lufthansa wird die Eskalation der Lage von der Gewerkschaft Ver.di kritisiert. „Diese Serie von Arbeitsniederlegungen kann sicherlich nicht mehr als Warnstreik bezeichnet werden. Es wird auch deutlich, dass Ver.di nicht daran interessiert ist, seinen Beitrag zur Verbesserung des Luftfahrtstandorts Deutschland zu leisten“, erklärt Lufthansa-Vorstand Detlef Kayser. "Wir haben schon jetzt die niedrigste Qualität zu den höchsten Kosten bei den Sicherheitskontrollen im europäischen und globalen Vergleich."

In der Branche wird darauf hingewiesen, dass die Ver.di-Forderung nach einem bundesweit einheitlichen Bruttostundenlohn von 20 Euro auch die vergangene Lohnentwicklung berücksichtigen soll. Der Stundenlohn stieg zwischen 2011 und 2018 in Hamburg um 54 Prozent von 11 auf 17 Euro oder in Hessen von 10,95 auf 17,13 Euro, ein Plus von 56 Prozent. Zusätzlich zum Grundlohn gibt es Zuschläge von 40 Prozent für Sonntagsarbeit und 100 Prozent für Feiertagsarbeit. Der Luftsicherheitsassistent ist eine Ausbildung – ein Friseur oder Bäcker mit einer dreijährigen Ausbildung würde jedoch im Schnitt deutlich weniger verdienen.

Auch die Tatsache, dass die Sicherheitskontrollen in Deutschland weniger effizient sind als in anderen europäischen Ländern, bereitet Fluggesellschaften und Passagieren Probleme. Nach Angaben der Flughafenbetreiber werden in Amsterdam durchschnittlich 185 Passagiere pro Stunde und Kontrollspur abgefertigt, in Brüssel und Madrid 200. In Frankfurt waren es vor Einführung der neuen Kontrollspuren 80 Passagiere, in München sind es 100 Passagiere. Zahlen aus China mit dem neuen Passagierabfertigungstunnel liegen noch nicht vor.

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